Problemreduktion und Problemumdeutung während des Erstgesprächs auf einem Sozialdienst

Erstgespräche sind fester Bestandteil des Aufnahmeverfahrens von Sozialdiensten, ihnen kommt eine zentrale Bedeutung in der Problemerfassung zu. Sozialarbeitende müssen relevante Daten über die vorliegende Situation sammeln, damit die Anspruchsberechtigung des Antragsstellenden abgeklärt und ein Überblick über die Problemlage gewonnen werden kann. Gerade die Wahrnehmung und Deutung der Problemkonstellation sind für die weitere Zusammenarbeit mit der Klientel und die Planung des Hilfeprozesses entscheidend. Beim Prozess der Problemdefinition werden vielschichtige, ineinander verschlungene Problemkonstellationen aus verschiedenen Gründen umgedeutet und reduziert, wobei Teilaspekte übersehen, unterschätzt, verdrängt oder erweitert werden, was den Hilfeprozess negativ beeinflusst. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, aus welchen Gründen Problemreduktionen und -umdeutungen auf Sozialdiensten während Erstgesprächen geschehen. Die Arbeit soll dazu beitragen, das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen und für die Beratungsarbeit als Sozialarbeitender und Sozialarbeitende nutzbar zu machen.

Bei der Klärung dieser Fragestellung bildet das Konzept des „Homo consultabilis“ von Thiersch den theoretischen Ausgangspunkt. Der Autor wirft darin institutionellen Beratungsstellen vor, ihr Beratungsangebot an der idealen Klientel auszudifferenzieren. Die Beratungsstellen richten sich an einem zur Beratung fähigen Menschen aus, der sich selbst als hilflos erlebt und bereit ist, sich uneingeschränkt auf das Hilfeangebot einzulassen. Diese Idealklientel akzeptiert auch die Problemdefinition durch die Beratungsstelle. Tut sie dies nicht, so passt sie nicht zum Beratungsangebot, es kommt keine Zusammenarbeit zustande. Die Beratungsstelle orientiert sich nicht an den Interessen der Klientel, sondern an den eigenen. In dieser Arbeit wird Thierschs Konzept erkenntnisleitend hinzugezogen, um, ergänzt durch die Analyse zweier Erstgespräche sowie weiteren Konzepten, herauszufinden, wie Problemreduktion und -umdeutung während Erstgesprächen auf Sozialdiensten stattfinden.

Insgesamt wird deutlich, dass es in Erstgesprächen auf Sozialdiensten tatsächlich zu einer Problemreduktion und -umdeutung kommt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und beeinflussen sich gegenseitig. Unter anderem wird die Problemdefinition durch gesellschaftliche Wertvorstellungen, Rahmenbedingungen der Beratungsstellen, Professionalisierung, Interessen des Beratenden sowie Kommunikationsschwierigkeiten beeinflusst. Wobei diese Prozesse der Problemreduktion und -umdeutung oftmals institutionalisiert sind und unbewusst geschehen. Für die Beratungsstellen, die Sozialarbeitenden wie auch die Klientel ergeben sich durch die Reduktion durchaus auch unmittelbare Vorteile, im Wesentlichen jedoch schwerwiegende Nachteile. Beide werden in dieser Arbeit aufgezeigt.

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Ilona Wandel, Melanie Wittwer
Problemreduktion und Problemumdeutung während des Erstgesprächs auf einem Sozialdienst
Bachelor-Thesis
108 Seiten
22.05.2015
978-3-03796-543-6