Häusliche Gewalt als Offizialdelikt

Seit 1. April 2004 gelten folgende Straftatbestände häuslicher Gewalt als Offizialdelikte und werden von Amtes wegen verfolgt: Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, einfache Körperverletzung, wiederholte Tätlichkeiten, Drohung und Nötigung. Parallel zur Offizialisierung trat Art. 55a Strafgesetzbuch (StGB) in Kraft, welcher den Opfern bei den vier letztgenannten Straftatbeständen die Möglichkeit einräumt, das Strafverfahren auf Antrag provisorisch einzustellen.

Mit der Offizialisierung setzt der Gesetzgeber ein klares Zeichen, dass häusliche Gewalt in der Schweiz nicht toleriert wird und strafrechtliche Konsequenzen für den Täter zur Folge hat, er wird zur Verantwortung gezogen. Im Gegenzug wird das Opfer von der Verantwortung befreit, Anzeige gegen den Täter zu erstatten. Die Offizialisierung wird vom Gesetzgeber als Voraussetzung angesehen, dass das Thema häusliche Gewalt vermehrt an die Öffentlichkeit gelangt, nicht mehr als Privatangelegenheit betrachtet wird und damit die Dunkelziffer häuslicher Gewalt reduziert wird. Weiter soll die Offizialisierung dazu führen, dass vermehrt Beratungsangebote und Täterprogramme implementiert werden.

Aufgrund des beschriebenen Sachverhaltes diskutieren wir in der vorliegenden Bachelorarbeit nachstehende Fragestellung: Macht die Offizialisierung der Straftatbestände häuslicher Gewalt mit der Möglichkeit der Einstellung des Strafverfahrens durch das Opfer Sinn?

Ziel des Theorieteils ist, einen Überblick über die rechtliche Situation häuslicher Gewalt und erste empirische Untersuchungen zu den gesetzlichen Änderungen vorzustellen. Schwerpunkte bilden dabei auf Bundesebene das StGB und auf kantonaler Ebene das Polizeigesetz des Kantons Bern (PolG). Weiter wird auf den Gewaltzyklus und die erlernte Hilflosigkeit eingegangen sowie die Situation der Opfer im Strafrecht dargestellt.

Im empirischen Teil verfolgen wir das Ziel, einen Praxisbezug herzustellen, indem wir anhand von vier Leitfadeninterviews die Sichtweise und Erkenntnisse von Expertinnen aus Fachstellen im Kanton Bern einbeziehen. Ziel ist, die Ergebnisse der Interviews am Ende mit dem Theorieteil zu verbinden.

Grundsätzlich vertreten wir die Meinung, dass die Offizialisierung der Straftatbestände häuslicher Gewalt durchaus Sinn macht. Dies unter anderem deshalb, weil die Offizialisierung ein starkes Zeichen gegenüber dem Opfer, dem Täter und der Gesellschaft darstellt und der Täter in die Verantwortung gezogen wird. Aufgrund des theoretischen und empirischen Teils unserer Bachelorarbeit kommen wir jedoch zum Schluss, dass der Art. 55a StGB neben den Vor- auch Nachteile hat, insbesondere die Relativierung der Wirkung der Offizialisierung.

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Patricia Leu, Petra Lang
Häusliche Gewalt als Offizialdelikt
Bachelor-Thesis
132 Seiten
30.12.2011
978-3-03796-420-0