Armut und Scham
eine qualitative Studie zur Dynamik von Scham im Kontext sozialer Ungleichheit
Die vorliegende qualitative Bachelorarbeit untersucht die Auswirkungen von Scham auf Menschen, die von Armut betroffen sind. Ziel der Studie ist es, Prozesse auf individueller, gesellschaftlicher und struktureller Ebene zu erklären, die zur Entstehung, Aufrechterhaltung oder Überwindung von Schamgefühlen bei armutsbetroffenen Menschen beitragen. Mittels leitfadengestützter biografischer Interviews wurden die individuellen Erfahrungen und Perspektiven von Personen erhoben, die mit begrenzten finanziellen Ressourcen leben müssen. Die Datenauswertung erfolgte unter Anwendung der Grounded Theory Methode, um den komplexen Zusammenhang zwischen Armut und Scham zu analysieren und in einem Modell darzustellen. Die Ergebnisse gewähren Einblicke in Stigmatisierungserfahrungen von armutsbetroffenen Menschen und identifizieren Scham als einen entscheidenden Faktor, der zu ihrer sozialen, gesellschaftlichen und beruflichen Ausgrenzung führt und zur Verfestigung sozialer Ungleichheit beiträgt. Des Weiteren kann aufgezeigt werden, wie die Verantwortung für strukturelle oder gesellschaftliche Risiken auf Armutsbetroffene abgewälzt wird, womit Armut die Konnotation einer selbstverschuldeten Lage erhält und Schamgefühle hervorruft. Zudem veranschaulichen die Ergebnisse die zahlreichen biopsychosozialen Auswirkungen von Scham auf armutsbetroffene Menschen. Besonders deutlich zeigt sich dies beim Sozialhilfebezug. Die Befragten erleben den Eintritt in die Sozialhilfe als demütigendes Ereignis, das mit Scham verbunden ist. Im weiteren Verlauf entfaltet der Bezug von Sozialhilfe eine desintegrative und selbstwertbeschädigende Wirkung, was den Zielen der Sozialhilfe, die berufliche und soziale Integration, widerspricht. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse werden Implikationen auf gesellschaftlicher, sozialpolitischer und institutioneller Ebene sowie Handlungsempfehlungen für eine ressourcenorientierte und inkludierende Soziale Arbeit formuliert. Diese zielen darauf ab, Armut nicht als individuelles Problem zu betrachten, sondern als gesellschaftliches Phänomen zu verstehen. Die empfohlenen Massnahmen sollen der Beschämung und Stigmatisierung von armutsbetroffenen Menschen im Sinne der sozialen Kohäsion entgegenwirken und aktivierungspolitische Ansätze zugunsten von mehr Teilhabechancen begrenzen.