Die Wechselwirkung zwischen Desintegration und psychischer Belastung geflüchteter Menschen durch postmigratorische Stressoren
Eine Gegenüberstellung zweier soziologischer Analysemodelle und daraus abgeleitete Handlungsmöglichkeiten für die Soziale Arbeit
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich theoretisch mit der Wechselwirkung zwischen Desintegration und psychischer Belastung geflüchteter Menschen in der Schweiz. Flucht als globales Phänomen prägt gegenwärtige Gesellschaften und individuelle Lebenslagen. Die Biografien geflüchteter Menschen weisen prä-, peri -und postmigratorische Stressoren auf: Belastungsfaktoren, die vor, während oder nach der Flucht auftreten. Die Arbeit fokussiert postmigratorische Stressoren, da zahlreiche Studien auf die Vernachlässigung psychisch belastender Verhältnisse in den Aufnahmegesellschaften hinweisen und diese Perspektive gehaltvoll für die sozialarbeiterische Praxis ist. Sozialarbeiterisches Handeln ist sowohl dem Individuum in der Bewältigung negativer Auswirkungen psychischer Belastung, als auch der Förderung gesellschaftlicher Verhältnisse, welche zur psychischen Gesundheit beitragen, verpflichtet. Dieser Anspruch wird in der Arbeit durch die Bearbeitung der Wechselwirkung zwischen Desintegration und psychischer Belastung verfolgt.
Es wird der Forschungsfrage nachgegangen, welche Handlungsmöglichkeiten für die Soziale Arbeit aus einer Analyse der Wechselwirkung zwischen Desintegration und psychischer Belastung geflüchteter Menschen durch postmigratorische Stressoren entstehen. Die Theorie des kommunikativen Handelns nach Jürgen Habermas und der Bielefelder Desintegrationsansatz nach Heitmeyer et al. dienen je als Analyse-Modelle. Grundlagen zum Fluchtphänomen, zur Situation geflüchteter Menschen in der Schweiz und zu relevanten Faktoren psychischer Gesundheit werden aufgezeigt.
Die kommunikationstheoretische Analyse ermöglicht, Desintegrationserscheinungen in den Lebenswelten geflüchteter Menschen als Folge von Störungen im verständigungsorientierten Handeln zu begreifen. Entlang des Modells wird klar, wie sich diese Störungen (Krisen) auf das subjektive Erleben und die gesellschaftliche Stellung geflüchteter Menschen auswirken und so auf verschiedenen Ebenen psychisch belastend für das betroffene Individuum sein können.
Mit der thematisch angepassten Bielefelder Analyse wird Desintegration als Modernisierungsphänomen auf geflüchtete Menschen bezogen, um deren Betroffenheit von Desintegration auf mehreren Ebenen zu beschreiben. Die Analyse weist auf, dass die Krisenerscheinungen zu psychischer Belastung führen, die wiederum durch kognitive Verarbeitung des Individuums, in Abhängigkeit der Faktoren psychischer Gesundheit, desintegrationsverstärkende Verhaltensweisen bewirken kann.
Die beiden Analysen bringen unterschiedliche Zusammenhänge in Bezug auf Aspekte der untersuchten Wechselwirkung hervor. Die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Analyseergebnissen lassen auf der Handlungsebene in unterschiedlichem Masse Ansätze wie der transkulturellen Kompetenz, Gefässe der Verständigungsorientierung, Sozialpsychiatrie, Sensibilisierung- und Projektarbeit, partizipative Möglichkeitsräume sowie gesellschaftspolitisches Engagement durch die Soziale Arbeit ableiten.