Menschenwürde
Was bedeutet sie? Wie relevant ist sie wirklich?
Immer wieder fällt der Begriff «Menschenwürde» (MW) im Studium und Berufsfeld der Sozialen Arbeit: im Unterricht zu den Menschenrechten, in der Frage ob eine Gefährdungsmeldung gemacht werden soll oder nicht, im Gespräch mit einer Person die Sozialhilfe beantragen möchte, in Diskussionen zur Frage wie Menschen in einem Heim behandelt werden sollten, etc. Der Begriff löst Fragen aus, beeinflusst Entscheidungen, inspiriert neue Haltungen. Die Auflistung könnte weitergeführt werden. MW ist also ein Begriff, der oft gehört und benutzt wird. Doch wenige können wirklich eine Antwort auf die Frage geben, was MW bedeute.
Professionelle der Sozialen Arbeit sind aber dazu angehalten, die Menschenwürde als Teil ihrer Haltung anzunehmen und umzusetzen. Im Berufskodex des «Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz» (Avenir Social) ist im Kapitel zu den Grundwerten folgender Artikel zu finden: «Die Professionellen der Sozialen Arbeit gründen ihr Handeln auf der Achtung der jedem Menschen innewohnenden Würde sowie den Rechten, welche daraus folgen» (Art. 8 Abs. 1). Hier wird der MW einen zentralen Stellenwert gegeben. Dies widerspricht sich scheinbar jedoch mit dem Bild, welches sich im Blick auf verschiedene Grundlagenwerke dieser Profession ergibt. Der Begriff kann in kaum einem dieser Werke gefunden werden. Hier sind einige Beispiele dafür:
- ‘Wörterbuch Soziale Arbeit’ von Dieter Kreft und Ingrid Mielenz
- ‘Handbuch Soziale Arbeit’ von Hans-Uwe Otto und Hans Thiersch
- ‘Grundriss Soziale Arbeit’ von Werner Thole
Das Werk «Grundriss Soziale Arbeit» enthält zwar beispielsweise den Artikel «Restauration und Reform – Die Soziale Arbeit nach 1945». Das Jahr 1945 ist für die Bedeutung von MW ein entscheidendes Jahr. Im Artikel wird sie jedoch nicht näher erwähnt. Lediglich im «Fachlexikon der Sozialen Arbeit», welches vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge veröffentlicht wurde, wird die MW kurz, auf weniger als einer Seite, beschrieben. MW wird lediglich darauf bezogen, dass sie der gesamten Sozialen Arbeit als Zielvorstellung zugrunde liege und dass sie das Existenzminimum begründe (Frank Ehmann, 2017, S. 580f). Im Buch «Werte und Normen der Sozialen Arbeit» von Peter Eisenmann (2012) wird MW ebenfalls kurz erwähnt (S. 273ff). MW wird in Zusammenhang mit den Menschenrechten auf drei Seiten erklärt.
Im Vergleich dazu kann MW, bzw. Würde in fast jedem Nachschlagewerk der Philosophie gefunden werden. MW kann auch im Nachschlagewerk «Geschichtliche Grundbegriffe» gefunden werden, wo Panajotis Kondylis (1992) einen 40-seitigen Beitrag zu Würde schreibt. In rechtlichen Kommentaren sowie verschiedensten Büchern zur MW in der Rechtswissenschaft wird MW ausführlich erläutert. In der Philosophie wird der Diskurs jedoch am ausführlichsten geführt.
Zusammenfassend kann nochmals gesagt werden, dass sich bezüglich der MW in der Sozialen Arbeit ein inkongruentes Bild ergibt. Laut Berufskodex soll MW ein wichtiger Grundwert sein. Grundlagenwerke der Sozialen Arbeit nehmen die Thematik wenig bis gar nicht auf. MW fällt im alltäglichen Gebrauch oft. Jedoch fällt es vielen schwer, sie zu erklären oder definieren. Dieses ungleiche Bild und das daraus entstandene «Fragezeichen» ist die grundlegende Inspirationsquelle für diese Arbeit.