Von der Beratungshaltung zum Arbeitsbündnis

Eine systemische Betrachtung am Beispiel der Erziehungsbeistandschaft

Die Erziehungsbeistandschaft ist eine Massnahme des zivilrechtlichen Kindesschutzes. Sie dient dem Schutz bzw. der Wiederherstellung des Kindeswohls, wenn die betroffenen Familien eine belastete Situation nicht aus eigener Kraft bewältigen können. Für das Kind sind die Eltern zentrale Bezugspersonen. Unabhängig davon, ob eine Kindeswohlgefährdung vom Verhalten der Eltern oder vom Verhalten des Kindes ausgeht, können in beiden Situationen nur die Eltern eine Verhaltensänderung bewirken. Dem Miteinander zwischen Beistandsperson und Eltern kommt deshalb eine grosse Bedeutung zu. In dieser Masterarbeit wird das Konzept des Arbeitsbündnisses hinzugezogen, um dieses Miteinander zu beschreiben. Es hat einen Einfluss auf die Qualität des Hilfeprozesses und ist somit eine relevante Grösse bei der Unterstützung von belasteten Familien.

Aufgrund dieser Überlegungen wird in der Masterarbeit anhand der bestehenden Theorie untersucht,

- welche Chancen die systemischen Grundprinzipen und Beratungshaltungen für die Etablierung eines tragfähigen Arbeitsbündnisses zwischen der Beistandsperson und den Eltern bieten
- was die systemischen Grundprinzipien und Beratungshaltungen sind
- was ein tragfähiges Arbeitsbündnis bedeutet und woran es erkennbar ist

Die systemischen Grundprinzipien und Beratungshaltungen werden beschrieben und auf den Kontext Kindesschutz bezogen. Dabei zeigt sich, dass sie der Beistandsperson als Orientierung im Berufsalltag dienen können und die Basis für die eigentliche Beratung bilden. Anschliessend wird das Arbeitsbündnis in einer familientherapeutischen, soziologischen und sozialpädagogischen Perspektive dargestellt.

Im empirischen Teil der Masterarbeit werden qualitative Experteninterviews mit Beistandspersonen mit und ohne absolvierte systemische Weiterbildung durchgeführt. Durch die Experteninterviews wird erarbeitet,

- woran die Beistandspersonen bei sich selber erkennen, dass sie in systemischen Beratungshaltungen beraten
- welche Reaktionen die Beistandspersonen vonseiten der Klientensysteme beobachten, die sie auf ihre systemischen Beratungshaltungen zurückführen
- welche Wechselwirkungen dadurch entstehen
- welche Übereinstimmungen und Unterschiede sich betreffend der Beratungshaltung zwischen den beiden Expertengruppen feststellen lassen

Die Interviewergebnisse zeigen, dass beide Expertengruppen eine reflektierte, transparente und empathische Zusammenarbeit mit den Eltern pflegen und sich auf das Wohl und die Sicherheit des Kindes konzentrieren. Beistandspersonen, die sich an einer systemischen Beratungshaltung orientieren, scheinen über ein breiteres Haltungsrepertoire zu verfügen sowie die elterliche Autonomie durch die Stärkung der Freiheitsgrade und die Abgabe der Expertenrolle an die Eltern gezielter zu fördern. In konfliktbehafteten Situationen scheinen systemisch orientierte Beistandspersonen den Kontakt zu den Eltern eher aufrechterhalten zu können.

 

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Michael Lehmann
Von der Beratungshaltung zum Arbeitsbündnis
Eine systemische Betrachtung am Beispiel der Erziehungsbeistandschaft
Masterarbeit (MAS)
70 Seiten
05.2019
10.26038/55826