Zwischen dem Wunsch nach Authentizität und dem Bedürfnis nach Schutz

Eine qualitative Untersuchung zu Stigmatisierungs- und Diskriminierungserfahrungen, Ressourcen und Strategien von nicht-binären Menschen in der Schweiz

Nicht-binäre Menschen werden in der Schweiz zunehmend sichtbarer. Nationale und interna-tionale Studien weisen allerdings darauf hin, dass sie in verschiedenen Lebensbereichen von Stigmatisierung und Diskriminierung betroffen sein dürften und als Folge davon unter einer schlechten psychischen Gesundheit zu leiden scheinen. Die vorliegende Bachelorarbeit hat deshalb zum Ziel, die Situation von nicht-binären Menschen in der Schweiz zu untersuchen und damit einen Beitrag zur Schliessung der bestehenden Forschungslücke zu leisten. Es wird danach gefragt, welche Stigmatisierungs- und Diskriminierungserfahrungen nicht-binäre Men-schen in der Schweiz machen und auf welche Ressourcen und Strategien sie zurückgreifen, um diese belastenden Erfahrungen zu bewältigen.

Die Relevanz der Forschungsfrage für die Soziale Arbeit ergibt sich aus ihrem Auftrag, gesell-schaftliche Veränderungen zu fördern sowie Menschen zu bemächtigen und zu befreien. Ein besseres Verständnis der Lebensrealitäten nicht-binärer Menschen ist nicht nur für eine adä-quate und sensible Gestaltung ihrer bestehenden Angebote zentral, sondern auch für die Ent-wicklung spezifischer, bedarfsgerechter Unterstützungsangebote und um den gesellschaftli-chen Wandel in Bezug auf Geschlechtervielfalt aktiv mitgestalten zu können.

Die Darstellung des nationalen und internationalen Forschungsstandes sowie die theoretische Annäherung an den Forschungsgegenstand bilden den Ausgangspunkt dieser Arbeit. Zur Be-antwortung der Forschungsfrage wurden vier qualitative Interviews mit nicht-binären Personen geführt und im Rahmen einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewer-tet.

Die Ergebnisse zeigen die Vielzahl und Vielfalt der erlebten Stigmatisierungs- und Diskriminie-rungserfahrungen auf, die sowohl offensichtliche Diskriminierungsformen wie auch subtile Stigmatisierungsmechanismen umfassen. Die spezifischen Erfahrungen von nicht-binären Menschen werden aufgezeigt. Sie lassen sich auf die gesellschaftlich tief verankerte binäre Geschlechternorm zurückführen und können als zentrale Ursache für die systemische Margi-nalisierung nicht-binärer Menschen verstanden werden. Weiter zeigen die Ergebnisse ver-schiedene Ressourcen und Strategien auf, auf die nicht-binäre Menschen im Umgang mit er-lebter Stigmatisierung und Diskriminierung zurückgreifen. Dabei wird deutlich, dass die Navi-gation im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Authentizität und dem Bedürfnis nach Schutz für nicht-binäre Menschen ein alltäglicher und anstrengender Balanceakt ist.

Aufgrund der Ergebnisse wird deutlich, dass eine Sensibilisierung von Professionellen der So-zialen Arbeit für die Bedürfnisse nicht-binärer Menschen unabdingbar ist, um die Reproduktion binärer Geschlechternormen und die damit einhergehende Stigmatisierung und Diskriminie-rung zu verhindern. Darüber hinaus sollte sich die Profession der Sozialen Arbeit sowohl in der Praxis als auch in der Forschung dafür einsetzen, den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer neuen Normalität der Geschlechtervielfalt aktiv zu gestalten.

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Manuela Wiedmer
Zwischen dem Wunsch nach Authentizität und dem Bedürfnis nach Schutz
Eine qualitative Untersuchung zu Stigmatisierungs- und Diskriminierungserfahrungen, Ressourcen und Strategien von nicht-binären Menschen in der Schweiz
Bachelor-Thesis
115 Seiten
2024
10.26038/1504374