Wo fängt Schutz an und wo hört Selbstbestimmung auf?

Eine empirische Analyse zur Umsetzung der Grundsätze zur Selbstbestimmung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Mandatsführung des Erwachsenenschutzes im Kanton Bern mit Folgerungen für die Praxis

Die vorliegende Master-Thesis untersucht anhand eines qualitativen Vorgehens, wie die Grundsätze zur Selbstbestimmung im Rahmen der Mandatsführung im Erwachsenenschutz im Kanton Bern umgesetzt werden. Die Umsetzung des Selbstbestimmungsgrundsatzes ist auf gesetzlicher Ebene im ZGB verortet und misst der Mitbestimmung der betroffenen Person und der Ausrichtung an deren Willen einen zentralen Stellenwert bei. Nebst den Grundlagen im ZGB zielt auch die UN-Behindertenrechtskonvention auf eine möglichst selbstbestimmte Lebensweise und Teilhabe von Menschen mit Behinderung ab (Art. 12 BRK), was die behördlichen Erwachsenenschutzmassnahmen umfasst. Im März 2022 wurde ferner der aktuelle Staatenbericht des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderung gegenüber der Schweiz erlassen. Der Bericht hält fest, dass eine Diskrepanz zwischen der gleichen Anerkennung vor dem Recht (Art. 12 BRK) und dem schweizerischen System der Beistandschaften besteht. Den Beistandspersonen kommt im Rahmen der Mandatsführung eine zentrale Funktion bei der Umsetzung des Selbstbestimmungsgrundsatzes zu. Ausgehend des Berichtes wird in der vorliegenden Master-Thesis der Frage nachgegangen, wie die Grundsätze zur Selbstbestimmung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Praxis der Mandatsführung im Kanton Bern umgesetzt werden und welche Schlussfolgerungen sich daraus ableiten lassen. Um die Fragestellung zu beantworten, wurden gesamthaft acht leitfadengestützte Interviews mit Beistandspersonen und betroffenen Personen im Kanton Bern durchgeführt und anhand der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Beistandspersonen der Selbstbestimmung einen hohen Stellenwert beimessen. Dennoch wird der Selbstbestimmungsgrundsatz in der Praxis nicht abschliessend umgesetzt. Massgebend verantwortlich dafür sind sowohl individuelle wie auch strukturelle Faktoren. Dabei zeigen sich auf der individuellen Ebene der Beistandspersonen die Dauer der Tätigkeit sowie das Verfügen über notwendiges Fach- und Methodenwissen als wesentliche Faktoren, welche die Umsetzung des Selbstbestimmungsgrundsatzes beeinflussen. Fehlende zeitliche Ressourcen, die hohe Falllast sowie institutionalisierte Abläufe sind zentrale Faktoren, welche sich auf der strukturellen Ebene als hinderlich zur Umsetzung der Selbstbestimmung im Praxisfeld zeigen. Zur Stärkung der Selbstbestimmung und Umsetzung
im Praxisfeld bedarf es einer weiteren Sensibilisierung und Weiterbildung der mandatsführenden Personen und insbesondere Veränderungen auf der strukturellen Ebene.

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Daniela Willener
Wo fängt Schutz an und wo hört Selbstbestimmung auf?
Eine empirische Analyse zur Umsetzung der Grundsätze zur Selbstbestimmung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Mandatsführung des Erwachsenenschutzes im Kanton Bern mit Folgerungen für die Praxis
Master-Thesis
107 Seiten
25.07.2023
10.26038/920254